„Die Wahlen sind sehr wichtig“

Ein Gespräch mit einer jungen Kubanerin.

Links im Bild Steckbriefe von zwei Delegierten.  Foto: dpa
Links im Bild Steckbriefe von zwei Delegierten.
Foto: dpa

Im April dieses Jahres fanden in Kuba die Kommunalwahlen statt. Die Wahlen werden von den Comités de Defensa de la Revolución (CDR) organisiert. In diesem Artikel soll in Form eines Interviews kurz auf das kubanische Wahlsystem und die Wahlen eingegangen werden. In den bürgerlichen Medien werden die Wahlen in Kuba als Farce oder sogar als gefälscht oder erzwungen bezeichnet. Dass dem jedoch nicht so ist, sondern das die Wahlen wichtig sind, hat uns Laritsa Velasquez aus Santiago de Cuba bestätigt.

Laritsa Velasquez ist 29 Jahre alt und eine Arbeiterin, ohne akademischen Titel. Nach ihrer vierjährigen Ausbildung als Hochbauzeichnerin, arbeitet Sie nun seit einem Jahr in einem Restaurant. Sie ist im CDR organisiert, sonst jedoch nicht weiter politisch engagiert.

Das Wahlsystem

Den Tag der Wahl schildert Laritsa folgendermaßen: Am Tag der Wahlen kann jeder Stimmberechtigte von 6 Uhr in der Früh, bis um 6 Uhr abends seine Stimme abgeben. Wenn man arbeitet, ist es besser wenn man früh geht, damit man rechtzeitig seine Stimme abgeben kann. In jedem Viertel gibt es ein Wahllokal, wo jeder stimmberechtigte Einwohner sich um sein Recht zu wählen kümmert. Man muss seinen Namen und die Nummer der Identitätskarte der Aufsichtsperson im Wahllokal geben und das Erscheinen mit der Unterschrift bestätigen. Später gehst du in einen kleinen Raum, wo du Zugang zum Stimmzettel hast und markierst deine Wahl für die Person von der du glaubst, dass Sie in der Lage ist, die Bedürfnisse aller Einwohner des Ortes zu repräsentieren. Einmal gewählt, geht es zur Wahlurne, wo zwei Pioniere in Uniform die Stimmabgabe gleichzeitig mit „voto“ bestätigen.

Anonyme und freiwillige Wahlen

Auf die Frage, ob die Wahlen anonym seien, antwortet Laritsa, dass niemand die Möglichkeit habe, deinen Wahlzettel zu sehen. Die Wahlen seien privat. Man könne also auch einfach gar nichts auf den Wahlzettel schreiben und somit zu verstehen geben, dass man keinem der Kandidaten seine Stimme geben wolle. Die Behauptung der ausländischen bürgerlichen Medien, die Wahlen seien erzwungen, widerlegt Laritsa: Wenn man nicht wählen gehen möchte, muss man auch nicht. Die Wahlverantwortlichen sehen wer nicht gewählt hat und wer dadurch evtl. seine Opposition zum etablierten System  ausdrücken könnte. Wer seine Opposition also nicht offen zeigen möchte, hat die Möglichkeit, den Wahlzettel blank einzuwerfen, oder ein Kreuz durch alle Kandidaten zu machen.

Die Delegierten und die Vorbereitung auf die Wahlen

Interessant ist auch die Aufstellung der Delegierten, die gewählt werden können. Monate vor den Wahlen werden in jedem Viertel und an den Arbeitsplätzen Leute für die Wahl empfohlen. Die systematische Vorbereitung, von der Empfehlung der Delegierten, bis zur eigentlichen Wahl, macht die demokratische Wahl in Kuba aus. Wochen vorher gibt es viele Diskussionen und auch Berichte im Fernsehen, Zeitungen und anderen Medien. Von allen Kandidaten wird außerdem ein kurzer Steckbrief mit Lebenslauf vor den Wahllokalen aufgehängt. Werbung und Wahlpropaganda, die über Diskussionen und Steckbriefe hinausgehen, ist jedoch strikte untersagt.

Wahlen als Spiegelbild der öffentlichen Meinung

Die letzte Frage war dann, ob Laritsa die Wahlen als wichtig empfinde und welche Auswirkungen die Wahlen in ihren Augen habe: Die Wahlen sind sehr wichtig, weil sie die öffentliche Unterstützung für das bestehende System repräsentieren. Wenn zum Beispiel die Mehrheit der Stimmberechtigen einen „blanken“ Wahlzettel einwerfen würden, wäre dies ein Ausdruck von Ablehnung. Da jedoch die aktuelle Politik, bevor es überhaupt zu den Wahlen kommt, in den CDR und an den Arbeitsplätzen stetigbesisdemokratisch besprochen wird,  kann so ein Bruch gar nicht erst entstehen.

Zahlen und Fakten der Wahlen

(Kubainfos/Agj, www.aubau.org)

Kubaner wählen neue Kommunalparlamente

Kommunalvertreter gesucht: Ein Plakat in Havanna ruft zur Teilnahme an den Wahlen auf (6.4.2015) Foto: REUTERS/Enrique De La Osa
Kommunalvertreter gesucht: Ein Plakat in Havanna ruft zur Teilnahme an den Wahlen auf (6.4.2015)
Foto: REUTERS/Enrique De La Osa

In Kuba sind am Sonntag rund 8,5 Millionen Bürger zu den alle zweieinhalb Jahre stattfindenden Kommunalwahlen aufgerufen. Wie die nationale Wahlkommission mitteilt, bewerben sich 27.379 Kandidaten um die Sitze in den 168 Kommunalparlamenten (Asambleas Municipales). Wahlberechtigt und wählbar sind alle Kubaner ab 16 Jahren, die seit mindestens zwei Jahren ihren ständigen Wohnsitz im Land haben. Gewählt ist, wer mindestens 50 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen erhält. In Bezirken, in denen kein Kandidat diese Hürde schafft, findet am 26. April eine Stichwahl statt.

In den vergangenen Monaten hatten sich die Bewerber landesweit in Zehntausenden Nachbarschaftsversammlungen in den Bezirken präsentiert und den Fragen der Bewohner gestellt. Diese Treffen sind ein Forum für die Bürger, in dem sie Probleme im Stadtteil ansprechen und konkrete Anforderungen an die Bewerber stellen können. Anders als von Konzernmedien berichtet, ist die politische Orientierung in Kuba kein Kriterium für eine Aufstellung.

Viele Kandidaten gehören weder der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) noch irgendeiner anderen Organisation an. In Havanna bewerben sich in diesem Jahr sogar mehrere bekennende Systemgegner um ein Mandat. Sie wurden in Versammlungen zwar zu ihren als »konterrevolutionär« bezeichneten Aktivitäten befragt, nicht aber an einer Kandidatur gehindert.

Nach der Wahlordnung müssen in jedem Bezirk zwischen zwei und acht Bewerber für einen Sitz im Kommunalparlament antreten. Nirgendwo darf es nur einen Kandidaten geben. Die Wahlen sind frei und geheim. Während früher offen per Handzeichen abgestimmt wurde, stehen heute Kabinen und Urnen zur Verfügung, die symbolisch von Schülern und Studenten bewacht werden.

Der Wahlvorgang ist einfach: Hinter den Namen der einzelnen Kandidaten kann ein Kreuz gemacht werden oder keines, wenn der Wähler nicht möchte, dass diese Person ins Parlament einzieht. Wer keinem der Bewerber zustimmt, lässt den gesamten Stimmzettel weiß. Eine Wahlpflicht gibt es in Kuba nicht – obwohl auch dies immer wieder von Gegnern des kubanischen Systems behauptet wird.

Wer gewählt wird, behält seine Arbeitsstelle. Die politische Tätigkeit ist ehrenamtlich in der Freizeit, nur wenige Kommunalpolitiker werden freigestellt. Sie erhalten dann weiterhin ihren Lohn. Die Delegierten müssen sich im Alltag vor Ort bewähren. Sie kümmern sich um Probleme wie etwa die Ausbesserung von Straßen, Wasser- und Stromleitungen, die Verbesserung der öffentlichen Beleuchtung oder die Renovierung von Kindergärten und Schulen.

Anders als in westlichen Systemen können kommunale Mandatsträger jederzeit wieder abgewählt werden. Das kubanische Wahlsystem ist mit parlamentarischen Parteiendemokratien westlicher Prägung nicht vergleichbar und strebt dies auch nicht an. Von Werbeagenturen entworfene Medienwahlkämpfe, in denen von der Wirtschaft und Lobbyverbänden gesponserte Parteien Programme präsentieren, die für die Politiker nach der Abstimmung nicht mehr verbindlich und für deren Wähler nicht einklagbar sind, gelten nicht als Vorbild.

Dennoch wird bereits seit längerer Zeit über eine Reform diskutiert. Am 23. Februar wurde auf dem 10. Plenum des Zentralkomitees der PCC die Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes bis zur nächsten Parlamentswahl im Jahr 2018 angekündigt. Obwohl noch keine Details mitgeteilt wurden, ist erkennbar, dass eine weitere Dezentralisierung der politischen Leitung und zugleich eine Stärkung der Gemeinden angestrebt werden. Konkrete Vorschläge dazu werden auf dem 7. Parteitag der PCC im April 2016 erwartet.

Aus Junge Welt, Ausgabe vom 18.04.15 „https://www.jungewelt.de/2015/04-18/017.php“

Nachtrag: Bei den Kommunalwahlen  2015 traten zwei Oppositionelle Kandidaten in zwei Wahlkreisen an. Beide scheiterten und wurden nicht gewählt. Infos dazu folgen. (kubainfos)